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Auf der
Suche nach dem Online-Ich
Text:
Carolin Wattenberg
Bild: Photocase.com
„Jeden Tag saufen ist auch ein
geregelter Tagesablauf" ist mit einem roten Stift auf dem Ausdruck eines
StudiVZ-Profils eingekreist. Stefan kennt dieses Profil - es ist sein
eigenes. Den Ausdruck hat ihm der Abteilungsleiter eines Unternehmens im
Bewerbungsgespräch vorgelegt. Auf einmal wird Stefan bewusst, dass sein
potenzieller neuer Arbeitgeber neben Bewerbungsunterlagen und persönlichem
Gespräch noch eine dritte Beurteilungsgrundlage genutzt hat.
Aus Sicht des Abteilungsleiters ist diese zusätzliche Form des
„Bewerber-Checks“ per Internet ein nachvollziehbarer Schritt im
Auswahlverfahren. Immerhin erweist sich das Internet in vielen Fällen als
äußerst ergiebige Informationsquelle, um einen Blick hinter jede noch so
makellose Bewerberfassade zu erhaschen. Ob politische Gesinnung, Fotos von
der letzten Party, Urlaubseindrücke oder Beiträge in Foren und Weblogs: Das
Internet ist eine Fundgrube vielfältiger persönlicher Daten, im
Detailreichtum variierend, in der selbstdarstellerischen Entblößung
eskalierend. Schon die „harmlose“ Mitgliedschaft in StudiVZ-Gruppen mit
Namen wie „Es
gibt immer einen Grund zum Saufen“, „faul und demotiviert“ oder
„narzisstisch, arrogant und unsozial“ vermögen so manch leere Zeile zwischen
beeindruckenden Qualifikationen und gesellschaftlichem Engagement zu füllen.
Ob man ihnen nun in einem Anflug ironischer Abgeklärtheit, aus Spaß oder aus
vollem Ernst beigetreten ist, erschließt sich dem Leser beim ersten Lesen
oftmals nicht – dabei ist der erste Eindruck meistens entscheidend. Im
„analogen Leben“ ist vielen die Vorstellung befremdlich, einem Fremden
intimste Einblicke in seine Privatsphäre zu gewähren. In Social Networks
wie
StudiVZ und
Xing ist das paradoxerweise Alltag. Durch die
vermeintliche Annahme der User, die persönlichen Angaben und Aussagen
blieben unter der „Käseglocke“ vertrauenswürdiger Kommilitonen und
Bekannter, ist die bereitwillige Informationspreisgabe erstaunlich,
teilweise erschreckend.
Bilderstrecke:
„StudiVZ“-Gruppen
Klicken Sie hier, um die
Bilderstrecke zu öffnen.
Einen bitteren Beigeschmack erhält diese Entwicklung mit Blick auf die
Verweildauer von Daten im Internet. Dank Diensten wie
archive.org können
Informationen über Jahre gespeichert werden. Nur ein Klick und schon beginnt
die virtuelle Zeitreise in die Tiefen des World Wide Web. Was das Gedächtnis
schon seit langem ausgeblendet hat, wird in der „digitalen Parallelwelt“
dokumentiert, archiviert, konserviert und somit jederzeit abrufbar gemacht.
Spurensuche im Netz
„Das Internet vergisst nichts“, bestätigt auch Carsten Hoppe, einer der
Geschäftsführer von „datenwachschutz.de“. Jeder Klick, jeder Eintrag, jede
Anmeldung hinterlässt Spuren im Netz, denen auch noch nach Jahren
nachgegangen werden kann. Aus diesem Grund bietet das Münsteraner
Unternehmen die Löschung
des „digitalen Fingerabdrucks“ an. Carsten Hoppe und der zweite Geschäftsführer
Marc Randow durchforsten ein Daten-Dickicht von über 80 Millionen Webseiten
nach personenbezogenen Informationen ihrer Auftraggeber, sei es in Form von
Fotos, Videos, Beiträgen in Foren, Gästebüchern oder Weblogs. Pro Monat
wenden sich durchschnittlich 50 Kunden an die „Online-Detektive“, Tendenz
steigend. Die meisten von ihnen sind Privatleute, dabei reicht die Klientel
vom pensionierten Arzt, der seine Kontaktdaten aus Webverzeichnissen löschen
lassen möchte, bis zu besorgten Eltern, die erfahren wollen, was ihre Kinder
im Internet treiben. Neben jungen Menschen, die sich vor einer Bewerbung
ihre „weiße Online-Weste“ bestätigen lassen wollen, wenden sich mittlerweile
auch Unternehmen hilfesuchend an das Team. Und
so sind nicht nur die Anliegen der Kunden, sondern auch die Brisanz der
gefundenen Informationen vielfältig. Die Konfrontation mit Verleumdung und
Denunziation gehört mittlerweile zum „detektivischen Alltag“, sei es nun in
Form des bebilderten Rachefeldzugs gegen den Expartner oder im Extremfall
einer Morddrohung. An solchen Beispielen wird deutlich, dass sich die
Ausbreitung persönlicher Daten im Internet oftmals der eigenen Kontrolle
entzieht. Sei es mutwillig oder ohne jegliche böse Absicht – das Internet
bietet jedem die Freiheit und somit die Möglichkeit, Informationen über eine
Person preiszugeben – auch ohne deren Einverständnis. Angefangen bei den
Fotos des feucht-fröhlichen Feierabends, entwickeln solche Daten schnell
eine beachtliche Eigendynamik.
Besonders die Unsicherheit, nicht zu wissen, was über einen selbst im
Internet steht, veranlasst viele Menschen dazu, sich an die professionellen
Datenwächter zu wenden. Ein Bericht, der Links zu den
entsprechenden Webseiten und Textauszüge enthält, gibt schließlich
Aufschluss über die Internetpräsenz der Person. Abschließend kann der Kunde
dann selbst entscheiden, ob und welche Daten gelöscht werden sollen. Die
Löschung nimmt das Unternehmen allerdings nicht selbst vor. In mit den
entsprechenden Links versehenen Anschreiben fordert es den Serviceprovider
oder Webmaster der jeweiligen Seiten zur Löschung der brisanten Daten auf -
im Extremfall auch mit Unterstützung eines Rechtsanwalts. Die „speziellen
Suchtechniken“, derer sie sich bei der Recherche bedienen, wollen sie
allerdings nicht preisgeben. Illegal sie jedoch keinesfalls, versichert
Geschäftsführer Hoppe.
Doch die Löschung der virtuellen Persönlichkeit
oder Teilen davon, ist nur der letzte Schritt, den der besorgte Internetuser
unternehmen kann.
Identität 2.0
Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Diese Fragen bekommen auf einer Website
wie
myOn-ID einen gänzlich neuen Stellenwert. Frei nach dem Motto „So
bin ich wirklich!“, ist myON-ID eine Darstellungsplattform der
besonderen Art - denn hier wird „Reputationsmanagement“ betrieben.
Registrierte Nutzer können das Web und Social Networks nach Treffern zu
ihrem Namen durchforsten und diese dann in einem Dossier sammeln, um sie
schließlich nach ihren eigenen Vorstellungen zu kommentieren und zu
beschreiben. Verknüpft wird die persönliche Linkssammlung mit einem
Userprofil und der Möglichkeit, andere in einem kurzen Fragebogen zu
bewerten, beziehungsweise sich selber bewerten zu lassen. Positive
Beurteilungen Dritter, wirken sich auch positiv auf den eigenen Ruf aus.
„Die einfachste Art sich einen guten Ruf aufzubauen beginnt hier bei myON-ID“
heißt es verheißungsvoll auf der Website. Einfach Kontakte knüpfen,
Bewertungen abgeben und anfordern, und schon verbessert sich das
Online-Image, dessen Status durch den „Reputationsindex“ veranschaulicht
wird. Dessen Skala reicht von 0 bis 500 und wird anhand eines selbst
entwickelten Algorithmus errechnet. Es hat fast den Anschein, als müsse man
auf dem Weg zum privaten und beruflichen Erfolg erst den Highscore des
eigenen Ansehens knacken. So ähnelt das ambitionierte Sammeln von Kontakten
und der Beitritt in Online-Gruppierungen mittlerweile einer sportlichen
Disziplin des sich Messens und Übertrumpfens. Nun wird also auch die
Online-Reputation messbar, indexierbar und somit vergleichbar. Doch die
Aussagekraft eines Reputationsindex von 500 ist schwer zu beurteilen, da
scheinbar das Prinzip „Quantität vor Qualität“ gilt.
Selbst ist der User
Die Retuschierarbeit am digitalen Selbstbild durch Dienste wie myON-ID
und datenwachschutz.de können letztlich nur unterstützend wirken. Sie
können einen kritischen und eigenverantwortlichen Umgang mit der Preisgabe
persönlicher Daten jedoch nicht ersetzen. Denn obwohl das Internet keine
rechtsfreie Zone ist, kann die Kontrolle über die gewünschte Darstellung des
Online-Ich schnell verloren gehen.
Stefan hat den Job trotz seiner Gruppen bekommen. Letztlich waren seine
Qualifikationen ausschlaggebend, aber er weiß, dass er bei der nächsten
Bewerbung nicht soviel Glück haben muss. Stefan ist übrigens auch nicht sein
richtiger Name. Den gibt er mittlerweile nicht mehr ohne weiteres im
Internet preis. |
Ausgabe
53
Alles ist durchleuchtet
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Editorial von Björn Brückerhoff
Interview mit
Peter Glaser:
Datenschutz ist
ungeil
Auf der Suche nach dem
Online-Ich
Die Nadel im Heuhaufen
Verbraucher kommen zu kurz
Mündige Verbraucher verirrten
sich...
Die freiwillige Entblößung
Sicherheit = Datensicherheit?
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